“Wie lassen sich Nachhaltigkeit, Verkehrsinfrastruktur, Aufenthalts- und Erholungsqualität im wachsenden Berliner Südosten miteinander vereinbaren?“ Diese Frage diskutierten Experten und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik beim ersten städtebaulichen Symposium des BE-U urban development LABs am 20. Februar 2024 im Studio des Peter-Behrens-Baus in Berlin-Oberschöneweide.
Titel des Abends: “Mobility Matters – Wachstumsregion Berlin-Südost: Nachhaltige Stadtentwicklung braucht eine gute Infrastruktur”. Der Veranstaltungssaal war mit fast 160 Gästen voll besetzt. Unter den Gästen waren auch Anwohnerinnen und Anwohner sowie Gewerbetreibende aus Oberschöneweide, die in der abschließenden Fragerunde wichtige Impulse geben konnten. Anlass für das Thema war nicht zuletzt die sich zuspitzende verkehrliche Situation im Berliner Südosten und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und städtebaulichen Herausforderungen sowie die Notwendigkeit, gemeinsam Lösungen für aktuelle und zukünftige Mobilitäts- und Infrastrukturfragen zu finden.
Veranstalter waren in öffentlich-privater Kooperation die DIEAG Unternehmensgruppe, Entwickler des BE-U | Behrens-Ufers, die WISTA Management GmbH, Entwickler und Manager des Technologieparks Adlershof in unmittelbarer Nähe und die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Dr. Johanna Sonnenburg, Lead Expert des urban development LABs im BE-U führte die Gäste und Referenten als Moderatorin durch den Abend. Roland Sillmann, Geschäftsführer der WISTA Management GmbH und Daniel Krajzewicz vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eröffneten das Symposium mit ihren Impulsvorträgen. An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen zusätzlich Prof. Dr. Florian Koch, Professor für Immobilienwirtschaft, Stadtentwicklung und Smart Cities, als Vertreter der HTW Berlin und Dr. Christian Matschke, Vorstand der im Technologiepark Adlershof ansässigen Berlin-Chemie AG, Christian Arbeit, Geschäftsführer Kommunikation des Erstliga-Fußballvereins 1. FC Union Berlin und Robert Sprajcar, CEO der DIEAG Unternehmensgruppe, teil.
Erfolgsfaktoren Infrastruktur und Toleranz
Den Startschuss gab Roland Sillmann mit seinem Impulsvortrag über die kritischen Erfolgsfaktoren für die Zukunft des Berliner Südostens. Er identifizierte eine gute Infrastruktur und ein hohes Maß an Toleranz als ausschlaggebend für den Aufschwung Berlins zu einem der wichtigsten Zentren der Elektroindustrie, der in Schöneweide seinen Anfang nahm. Sillmann beschrieb Toleranz, der Wirtschaftstheorie von Richard Florida mit seinen 3 T’s (Technologie, Talents, Toleranz) folgend, als Voraussetzung für den Zustrom von Talenten. Sein Blick richtete sich auch auf die Gegenwart und die Erfolgsgeschichte von Adlershof, der sich in den letzten Jahren mit zahlreichen Weltmarktführern zu einem der erfolgreichsten Technologieparks Europas entwickelt hat. Auch hier sieht er Toleranz als einen der Schlüsselfaktoren, um Talente anzuziehen.
Gestützt durch Richard Floridas Global Creativity Index, betonte er, dass Kreativität vor allem durch Lebensqualität und Lebenszufriedenheit entsteht, deren Grundvoraussetzung wiederum Toleranz ist. Der Berliner Südosten verfügt laut Sillmann bereits über eine ausgezeichnete technologische Basis und ein reiches Reservoir an Talenten. Die Förderung von Offenheit und Toleranz ist eine Chance, positive Selbstverstärkungseffekte zu initiieren, sie ist allerdings kein Selbstläufer und muss daher neben der Infrastruktur im Fokus für einen prosperierenden Berliner Südosten stehen.
Verkehrsentwicklung im Berliner Südosten: ÖPNV-Ausbau hat oberste Priorität
Daniel Krajzewicz vom Institut für Verkehrsforschung am DLR präsentierte anschließend Fakten zur Verkehrsentwicklung. Die Region Berlin-Südost umfaßt einen großflächigen Teilraum der Berlin-Brandenburger Metropolregion mit besonders hoher Nutzungsvielfalt und vergleichsweise dezentral ausgeprägten Siedlungs-, Gewerbe- und Freizeitschwerpunkten. Durch Arbeitswege, Warentransporte, Durchgangsverkehre, Naherholung und Tourismus kommt es zu einer überdurchschnittlich hohen regionalen Verkehrsbelastung. Die Tendenz ist weiter steigend, bedingt durch das Wachstum der Bevölkerung, der zunehmenden Anzahl der Arbeitsplätze wie auch der Studentenzahlen. Eine Befragung ergab ein vergleichsweise großes regionales Einzugsgebiet mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an motorisiertem Individualverkehr sowie intensiver ÖPNV-Nutzung.
Das DLR führte für den Berliner Südosten zwei Verkehrssimulationen durch: Zum einen zur Mobilität der Bevölkerung an einem normalen Arbeitstag und zum anderen zu den Verkehrsströmen, die sich aus den einzelnen Fahrten heraus ergeben. Tagsüber zeigt sich vor allem in Adlershof eine hohe Verkehrsdichte, während es nachts sehr ruhig ist. Verkehrsspitzen treten morgens und nachmittags auf, mit Ballungen an bestimmten Engstellen. Szenarien zeigten, dass bei einer Verdoppelung der Beschäftigten-, Anwohner- und Studentenzahlen Verlustzeiten von bis zu 60 Minuten durch stockenden Verkehr und Staus entstehen können.
Der ÖPNV wird bis 2030 nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können. Er wird, Stand heute, in allen Bereichen mit bis zu 120% Auslastung überfordert sein. Der Fußverkehr spielt aufgrund der Distanzen eine untergeordnete Rolle, während der Fahrradverkehr zunimmt. Dieser Trend kann arbeitgeberseitig durch die Bereitstellung von überdachten, sicheren Fahrradstellplätzen, Reparaturangeboten und Duschmöglichkeiten gefördert werden. Der Wirtschafts- und Lieferverkehr ist vor allem zu den Geschäftszeiten hoch und Parkplätze werden knapp. In seinem Fazit betonte Krajzewicz die dringende Notwendigkeit des Ausbaus der Infrastruktur, insbesondere im Bereich des ÖPNV, um die positive Gesamtentwicklung des Berliner Südostens im Bereich Gewerbe und Wohnen nicht auszubremsen.
Podiumsdiskussion: Im Schulterschluß mit öffentlichen und privaten Akteuren zu einer zukunftsorientierten Mobilität
Die Podiumsdiskussion brachte aufgrund der Vielschichtigkeit der Teilnehmer eine breite Palette an Perspektiven zusammen und weitete so den Blick für ganzheitliche Entwicklungsansätze der Verkehrsinfrastruktur in Berlin-Südost.
Senatorin Manja Schreiner eröffnete die Diskussion mit dem wichtigen Thema des dringenden Nachholbedarfs bei Infrastrukturvorhaben, insbesondere im Bereich des ÖPNV. Sie wies auf die ressortübergreifende Komplexität und die langen Planungs- und Genehmigungszeiten von Bau- und Verkehrsprojekten auf Landes- wie Bezirksebene hin, die es zu überwinden gilt – auch um Investoren aktiver einbinden zu können.
Bezirksbürgermeister Oliver Igel stellte die schweren Arbeitsplatzverluste im Ortsteil Oberschöneweide infolge des Niedergangs der Elektroindustrie in den 1990er Jahren heraus und warnte davor, die Chance für einen nachhaltigen Wandel zu verpassen, die sich gegenwärtig durch einen zügigen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bietet. Zudem fände die „eigentliche, große Entwicklung“ Berlins gerade eben außerhalb des S-Bahnringes statt – ein Faktum, das aus Sicht der Berliner Stadtregierung traditionell oftmals vergessen würde: „Wir sind Innenstadt. Hier ist die Entwicklung!“ Insofern müsse erreicht werden, dass das Berlin außerhalb des S-Bahnringes aus Sicht der zentralen Stellen in der Senatsverwaltung als „Innenstadt“ wahrgenommen würde, mitsamt ihren vielschichtigen Infrastrukturbedürfnissen. Er plädierte dafür, den Schwerpunkt auf den Ausbau des ÖPNV zu setzen und hierbei vorrangig aktuell bestehende Lücken in der Verbindung zur Innenstadt aber auch innerhalb der Region Süd-Ost zu schließen. Konkret wurde er am Beispiel des derzeit zwischen Land, Bezirk und Privatinvestor DIEAG vorbereiteten Brückenbauvorhabens am Spreeknie, der Wilhelminenhofbrücke, das mit einem Ausbau der dann über den Bahnhof Oberspree unmittelbar an Oberschöneweide angebundenen S-Bahnlinie 47 auf der Niederschöneweider Seite der Spree einhergehen sollte.
Robert Sprajcar unterstrich die Notwendigkeit der schon lange in der Planung avisierten Brücke als Verbindung zum S-Bahnhof Oberspree und bekräftigte die Bereitschaft der DIEAG als Investor und Entwickler des Quartiers, hierfür einen signifikanten Beitrag in Puncto Planung, Finanzierung und Umsetzung zu leisten. Durch den politischen Willen und die Akzeptanz in Anwohnerschaft und Verwaltung, das Thema Mobilität gemeinsam mit privaten Investoren voranzubringen, sieht er eine Chance für ein Modellprojekt zur öffentlich-privaten Zusammenarbeit, das auch auf andere wichtige Themen, wie z. B. die nachhaltige Energieversorgung Berlins durch Investitionsvorhaben im Bereich der Tiefen Geothermie, ausgeweitet werden könne.
Für Prof. Dr. Florian Koch von der HTW Berlin ist bei aller digitalen Verfügbarkeit von online-Vorlesungsangeboten eine Sache klar: „Wir wollen, dass unsere Studierenden zu uns an den Campus kommen.“ Es sei für Studenten wichtig, vor Ort zu sein, um den eigenen Lernerfolg zu maximieren. Neben der Gestaltung attraktiver und moderner Lernorte zur Schaffung einer produktiven Lernumgebung sei dafür jedoch auch die Anbindung und Erreichbarkeit der Hochschule bedeutend. Mit vernünftiger ÖPNV-Anbindung und mehr Aufenthaltsfläche statt Parkplätzen auf dem Campusareal könnten einerseits Aufenthaltsqualität und Erreichbarkeit des Standorts gesteigert und andererseits die Mobilität der Studenten signifikant gesteigert werden.
Dr. Christian Matschke brachte die Perspektive der Berlin-Chemie AG mit ihren 2.000 Mitarbeitern in Adlershof ein und wies auf den erheblichen Waren- und Güterverkehr hin, der berücksichtigt werden müsse. Die Verlegung eines Teils des Berliner Güterverkehrs auf die vielen Berliner Wasserstraßen sei dabei eine durchaus vernünftige, jedoch bisher ungenutzte Option. Zudem sei Infrastruktur nicht nur eine Frage des Verkehrs, sondern auch der Energieversorgung: „Wir wollen bis 2028 klimaneutral werden. Mit welchen Energieformen machen wir das eigentlich?“ Wie wird die Energie transportiert, wie gespeichert und in welchen Netzen – diese Fragen müssten beantwortet werden. Die großen Industriefirmen Berlins säßen dazu bereits auch mit der Wirtschaftssenatsverwaltung an einem Tisch, um gemeinsam Lösungen im Interesse der gesamten Stadt Berlin zu finden.
Christian Arbeit vom 1. FC Union gab Einblicke in die Auswirkungen von sportlichen Großveranstaltungen auf den Verkehr. Etwa 20 bis 30 Großveranstaltungen im Stadion an der Alten Försterei, darunter die Heimspiele der Eisernen, sorgen punktuell für ein außergewöhnlich hohes Sonderverkehrsaufkommen, das selbstverständlich nicht mit Fragen nach einer alltäglichen Verkehrsbedarfsbewältigung gleichzusetzen ist. In Anbetracht der Stadionausbaupläne von derzeit 22.000 Zuschauerplätzen auf bald 40.000 betont Arbeit die Notwendigkeit, im Bezirk gemeinsam Mittel und Wege zu finden, diese Spitzen abfangen zu können. Er betonte die Bereitschaft der Stadionbesucher, an Spieltagen grundsätzlich eher den ÖPNV als das eigene Auto zu nutzen und sieht in der Reaktivierung der „Wasserstraße“ Spree eine attraktive zusätzliche An- und Abreiseoption – man schaue nur nach London, wo ein River Bus bereits heute im Linienverkehr die Themse entlangfährt.
Roland Sillmann unterstrich die Bedeutung des Infrastrukturausbaus mit einem anschaulichen Beispiel und verwies auf das Steueraufkommen in Höhe von rund 600 Millionen Euro, das durch die 30.000 Arbeitsplätze in Adlershof jedes Jahr erarbeitet wird. Der Technologiepark Adlershof ist auf weitere 30.000 Arbeitsplätze ausgelegt, nicht aber die umliegende Verkehrsinfrastruktur. Kosten für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur seien folglich aus Sicht des Senats auch eher als Investitionen zu sehen. Auch sei das örtliche Zusammenkommen nach wie vor ein wesentlicher Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg. Auch die Firmen im Technologiepark Adlershof wollen daher, dass die Arbeitnehmer am Firmenstandort zusammenkommen, um gemeinsam kreativ und produktiv zu arbeiten, anstatt allein im Home-Office zu bleiben. Dafür muß die Anbindung stimmen. Als wenig aufwändige Sofortmaßnahmen schlägt er einen engeren Takt bei der S-Bahn vor – zumindest zu den Stoßzeiten des Pendlerverkehrs – und verweist auf die mögliche Einführung einer Parkraumbewirtschaftung, die schon aufgrund der relativen Nähe zum Flughafen BER geboten sei und dabei helfen könnte zu verhindern, dass Reisende ihr Auto kostenlos im Technologiepark abstellen und damit den dort Arbeitenden den Platz wegnehmen.
Die Diskussion endete mit Publikumsfragen zum Planungs- und Umsetzungsstand von Projekten zum Ausbau des Straßennetzes, des ÖPNV, zur Verbesserung der Radwegeanbindung und zur Entwicklung des Wassertourismus. Die Moderatorin des Abends, Frau Dr. Johanna Sonnenburg, zog in Anbetracht des offenkundigen Grundkonsenses zur Notwendigkeit eines integrierten Lösungsansatzes im Interesse aller unterschiedlichen Mobilitätsbedarfe im Bezirk ein positives Fazit und schloß mit der Feststellung: „Wir müssen Brücken bauen, im wahrsten Sinne des Wortes.” – auf das Mobilität ein Treiber der Entwicklung sein könne und seitens der verantwortlichen Entscheider vorausschauend ermöglicht würde. Dies könne allerdings nur gemeinsam gelingen, im konstruktiven Dialog zwischen Senat, Bezirk, Standort-, Unternehmens- und Wissenschaftsvertretern sowie im Austausch mit identitätsstiftenden Sportakteuren und Freizeiteinrichtungen, die den sprichwörtlichen Kit für den übergeordneten emotionalen Zusammenhalt innerhalb des Berliner Südostens liefern.
Städtebauliches Symposium
Teilnehmer:
Roland Sillmann – Geschäftsführer WISTA Management GmbH
Daniel Krajzewicz – Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Prof. Dr. Florian Koch – Professor für Immobilienwirtschaft, Stadtentwicklung und Smart Cities (HTW Berlin)
Dr. Christian Matschke – Vorstand Berlin-Chemie AG
Christian Arbeit – Geschäftsführer Kommunikation 1. FC Union Berlin
Robert Sprajcar – DIEAG Unternehmensgruppe
Manja Schreiner – Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt des Landes Berlin
Oliver Igel – Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick
Moderation: Dr. Johanna Sonnenburg
Datum: 20.02.2024
Ort: BE-U I Behrens-Ufer